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Die Geschichte einer fast 100 Jahre alten QSL-Karte
Eine Recherche über eine QSL-Karte aus dem Archiv von DJ5RE
Autor: DJ5RE
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Dieser Beitrag erschien bereits im Funkamateur 11/2017 in
redaktionell veränderter Form!
Im Mai 2017 kaufte ich eine größere Sammlung funkhistorischer Unterlagen. Es
waren überwiegend Bücher aus der DASD-Zeit, aber auch einzelne CQ’s, CQ-MB’s
und ein paar QSL-Karten aus den späteren 30’er Jahren.
Eine der Karten fiel mir auf. Sie stammte aus Nordamerika und war deutlich älter
als der Rest des Konvolutes. Das QSO fand am 17. Oktober 1922 statt. 1922! Zu
der Zeit kämpfte man in Deutschland noch mit der RTV, der Reichs-
Telegrafenverwaltung, darum, Empfänger bauen und hören zu dürfen! An einen
Sendebetrieb war nicht zu denken!
Die Karte wurde von einem Canadier mit Rufzeichen „4BV“ aus Loreburn in
Saskatchewan, heute VE5-Rufzeichenbezirk, ausgestellt. (Bild 1)
Empfänger der Karte war Thomas Edison Nikirk aus Los Angeles in Californien,
Rufzeichen 6KA. Wie die Rückseite der QSL unter Bild 2 zeigt, wurde die Karte auf
dem Postweg übermittelt.
Ich scannte die Karte ein und schickte sie an den Mailreflector der AWA, der
„Antique Wireless Association“ [1] in den USA. Andy, K0SM/2, klemmte sich
dahinter und fand derart viel über die beiden Stationen heraus, dass es sich lohnt,
hier darüber zu berichten.
Das Rufzeichen in Canada wurde offensichtlich von drei Mitgliedern der Familie
Socolofsky benutzt. Paul verwendete das Kürzel „KS“, Clara „ER“ und Paul „BL“.
Die Karte weist „BL“, also Paul Socolofsky, als Operator aus.
Es scheint, dass sie zu Beginn des Jahres 1922 begonnen haben, sich eine auf
Röhren basierende Station zu bauen [2]. Die Röhrentechnik war noch jung, damals
waren auch Funkensender noch weitverbreitet! In der Juli Ausgabe der QST [3]
sind bei 4BV als Leistung noch 10W angegeben mit dem Hinweis, dass sie auf
neue Röhren warten. Im Oktober ist auf der vorliegenden QSL-Karte schon eine
Leistung von 125W eingetragen, die Lieferung der neuen Leistungsröhre war
offensichtlich bereits erfolgt. Im Januar 1923 [4] steht in der QST geschrieben:
„What is all this coming to, every time we hear from 4BV he has broken his last DX
record, now he is being heard consistently by 6ZAC working 6XAD and 5SP, and
he has be heard at Yonkers, N.Y. Next thing we know he will be working French
8AB. More power to you OM“.
Der zitierte 6ZAC war eine Station im doch auch von den USA weit entfernten
Hawaii. Der ebenfalls angesprochene (F)8AB war eine sehr bekannte und
leistungsfähige Station in Europa: OM Léon Déloy in Nizza. Er spielte eine
bedeutende Rolle bei den Transatlantik Tests der ARRL zu Beginn der 20’er Jahre.
Déloy reiste damals in die USA, ließ sich den neuesten Stand der Entwicklung im
Funkwesen erläutern, kaufte Röhren ein und fuhr zurück nach Frankreich. Am 25.
November 1923 wurde auf 100m Wellenlänge die Aussendung von (F)8AB in den
USA empfangen. Die Amerikaner durften jedoch noch nicht auf 100m funken. Sie
erwirkten deshalb eine Sondergenehmigung und am 27.November 1921 gelang
tatsächlich die erste transatlantische Zweiweg-Verbindung. Der Ausspruch von
Kenneth B. Warner in der QST lautete: „OMs, it was, indeed, a fine day“ [6]
Ein QSO mit 8AB war damals für Stationen in den USA etwas ganz Besonderes,
quasi die Krönung des DX’ers. Als unsere QSL-Karte ausgestellt wurde hatten es
die Canadier noch nicht geschafft. Das ODX, die bis dahin weiteste Verbindung der
Station 4BV, ist mit 3100 Meilen angegeben. Europa war also noch nicht geknackt!
Als Empfänger diente ein „single circuit“, ein Einkreiser, gefolgt von drei
Niederfrequenzstufen. Also nach in Deutschland üblicher Nomenklatur ein 0-V-3
Audion. Drei NF Stufen nach dem Detektor, das scheint unnötig viel Aufwand zu
sein. Man darf aber nicht vergessen, dass die Röhrentechnik noch in den
Kinderschuhen steckte. Die einfachen Trioden machten nur geringe Verstärkung.
Zwischen den einzelnen Stufen verwendete man, um Verluste zu vermeiden, die
teuren Anpassungs-Übertrager. Der Sender bei 4BV wurde mit 500V
Anodenspannung betrieben und war ein rückgekoppelter Freischwinger. Damit
gelang es, 1,5A Antennenstrom zu erzeugen. Als Antenne ist eine Fächerantenne
aus vier Drähten, aufgespannt als inverted-L in ca. 23m Höhe, genannt. Die „Erde“
bestand aus einer metallischen Erdplatte und einem Gegengewicht aus 9 Drähten
mit ca. 116m Gesamtlänge. Oftmals waren die Gegengewichte in dieser Zeit
ebenfalls in der Luft aufgespannte Fächer unter der eigentlichen Antenne, analog
den heute noch verwendeten „elevated radials“.
Und nun zum QSO-Partner. 6KA war damals ein „Bunter Hund“ und bereits in
jungen Jahren eine bemerkenswerte Persönlichkeit (Bild 3). Unter [7] findet man
Angaben zu seiner Biographie. Thomas Edison Nikirk wurde 1901 geboren. Er war
bei den Pfadfindern im Bundesstaat Washington aktiv, wo er bereits als Kind
zahlreiche Scheine ablegte und deshalb im Alter von nur 13 Jahren in
überregionalen Zeitungen als außergewöhnliches Talent beschrieben wurde. Er
kam in einen Kurs, um als „Boy Scout Radio Operator“ ausgebildet zu werden. In
der Washington Times vom 7. Juni 1914 ist bei den „Scout News“ erwähnt, dass
Nikirk überall in den USA eine Funkstation betreiben darf. Als erstes Rufzeichen
liest man neben weiteren Sonderrufzeichen „3VU“. Noch einmal soll ein Vergleich
mit den Zuständen damals im Deutschen Reich gezogen werden. Selbst
Wissenschaftlern wurde bei uns lange der Weg zu den Funkwellen verwehrt,
während in den USA bereits 1914 ein 13-jähriger Junge die Lizenz bekam.
Irgendwann zwischen 1916 und 1920 zog unser Funkfreund von Washington D.C.
nach Kalifornien. Dort bekam er eine Genehmigung bis 500W unter dem
Rufzeichen 6KA. Aus Kalifornien wurde OM Nikirk weltweit bekannt.
Thomas war einer der ersten US-Stationen, die im Sommer 1923 in Neuseeland
und in Australien gehört wurden. Während den Transatlantik-Tests mit (F)8AB
schaffte es Nikirk als einer der ersten aus dem „6th district“ (heute noch W6-
Rufzeichengebiet) über den großen Teich. Auch an Chinas Küste hörte man sein
Signal regelmäßig. Er war zweifellos eine der besten DX-Stationen dieser Zeit.
Die Zeitschrift „Radio News“, Heft Juni 1923 [8], strotzt geradezu von Hörberichten
die belegen, dass Thomas regelmäßig in Neuseeland empfangen wurde.
Nun interessiert natürlich, mit welchem Equipment dieser Top-DX’er in der Luft war.
Andy, K0SM/2 wurde auch hier fündig! In der QST Februar 1923, auf den Seiten
28/29 findet sich auch eine Beschreibung seiner Station. [5]
Wie Bild 4 zeigt besteht der Sender nur aus einer einzigen Röhre! Der Glaskörper
hat keine Fassung, daher erfolgt die Befestigung mittels zweier Bügel an einem
Brettchen. Der Text beschreibt sie als „spezielle Experimentalröhre“. Die Kontakte
sind offensichtlich durch den Glaskolben durchgeführte Drähte ohne Steckstifte
oder dgl. Das Netzteil war ein Aufwärtstransformator mit 110V Primärspannung.
Die übliche Spannung im „Normalbetrieb“ wird mit 3 KV angegeben. Als
Gleichrichter kommt ein motorgetriebener Synchron-Gleichrichter (links im Bild 4)
zum Einsatz, der auf mechanischem Wege die negative Halbwelle durch umpolen
„nach oben klappt“. Gleichrichterröhren für derart hohe Spannungen waren noch
ein Problem! Das Bild läßt keine Siebkondensatoren z.B. durch Leydener Flaschen
erkennen. Unter Umständen wurde tatsächlich mit der ungesiebten
Höckerspannung gearbeitet. Es gibt vier Spulen, die als „Pfannkuchen-Spulen“
(pancake-coils) bezeichnet werden. Sie sind spiralförmig aus Flachmaterial
angefertigt. Eine dient der Rückkoppelung am Gitter und besteht aus fünf
Windungen. Die Antennenspule besteht aus sechs Windungen und als Plate-
Induktivität im Ausgang kommen zwei Spulen mit 15 Windungen zum Einsatz. Die
Kopplung vom Anodenkreis zum Gitter und zur Antenne konnte durch Variation der
Abstände verändert werden. Der mit den 3KV erzeugte Antennenstrom betrug satte
12-13A, was mit einem thermisch gekoppelten Instrument direkt in der
Antennenleitung gemessen wurde.
Thomas Edison Nikirk war kein ängstlicher Zeitgenosse. Er erhöhte testweise die
Anodenspannung bis 8KV und überheizte die Röhre, um genug Emission zu
erzeugen. Der maximale Antennenstrom stieg so auf unglaubliche 18,8A an. Dabei
brannte er einige Löcher in die Anode der Röhre. [5] 8KV bei einem Brettaufbau,
das war schon verwegen. Aber wie tastet man solch einen Sender? Wohl nicht
über die Anodenspannung, wie damals bei kleineren Sendern durchaus üblich.
Auch hier gibt die QST eine Antwort: Die Taste lag in der 110V Primärseite des
Anodentrafos! Es ist nicht bekannt, wie oft OM Nikirk die Kontakte an der
Morsetaste wechseln musste! Tastklicks waren vorprogrammiert! Die Angabe zur
Tonqualität auf der QSL Karte konnte ich leider noch nicht deuten.
Folgende Infos zur Antenne bei 6BA in Kalifornien: Es kam eine Marconi-T-Antenne
mit fünf Horizontaldrähten in ca. 1,1m Abstand mit 19m Länge in 24m Höhe zum
Einsatz.
Dem Verfasser liegen eine QSL-Karte an OM Nikirk (hier bereits unter dem Call
W6KA) von VK2ZK aus dem Jahre 1930 und weitere QSLs von 1946 vor, wo er an
der Station von W1CCZ in einem Yachtclub in Wianno/Massachusetts aktiv war.
Nach seinem frühen Tod im Jahre 1955 hat der Pasadena Radio Club dieses Call
übernommen und führt es bis heute als Clubrufzeichen fort.
Dank der Hilfsbereitschaft der Funkfreunde vom AWA Reflektor ist es gelungen,
nach fast 100 Jahren einer QSL-Karte wieder ein Gesicht zu geben. Ich werde sie
als Zeugnis einer spannenden Zeit in Ehren halten. Einer Zeit, die den deutschen
Funkamateuren gestohlen wurde. Doch dies ist ein weiteres Kapitel unserer
Funkgeschichte, welches noch genauer beleuchtet werden muss.
Danken möchte ich meinem Funkfreund Andy Flowers, K0SM/2, Mitglied der
„Antique Wireless Association“, für die enorme Unterstützung bei den Recherchen
und Mati Weinberg, KB1EIB, von der ARRL für die schnelle und unkomplizierte
Genehmigung, die Bildauszüge und Inhalte der QSTs aus den 20’er Jahren für
diesen Artikel verwenden und veröffentlichen zu dürfen.
Literatur und Internet Quellenangaben:
[1]: www.antiquewireless.org
[2]: Zeitschrift QST der ARRL, Heft Januar 1922
[3]: Zeitschrift QST der ARRL, Heft Juli 1922
[4]: Zeitschrift QST der ARRL, Heft Januar 1923
[5]: Zeitschrift QST der ARRL, Heft Februar 1923
[6]: W.F.Körner, Geschichte des Amateurfunks, 1909-1963
[7]: http://onetuberadio.com/2014/08/15/thomas-edison-nikirk-1901-1953-boy-
scout-and-amateur-radio-operator/
[8]: Zeitschrift Radio News, Heft Juni 1923 online unter
http://www.americanradiohistory.com/hd2/IDX-Site-Early-Radio/Archive-Radio-
News-IDX/IDX/20s/23/Radio-News-1923-06-R-OCR-Page-
0040.pdf#search=%226ka%22